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						Hans Albert wird 100 
						
						Ein Manifest gegen Rechthaberei und 
						Beliebigkeit 
						
						Das Motto der Aufklärung heißt: Lass dir 
						von Autoritäten nichts vormachen, denk selber! Der 
						Kritische Rationalismus hat es 200 Jahre später 
						erweitert: Denk selber, aber mach dir nichts vor - auch 
						der Andere kann recht haben! Diese Haltung passt in eine 
						Zeit, in der wie gerade jetzt das öffentliche Gespräch 
						von üppigen, oft nicht rationalen Wahrheitsansprüchen 
						geradezu erstickt zu werden droht. Etwas zu behaupten, 
						ohne Beweise auf den Tisch zu legen, ist genauso 
						gegenaufklärerisch wie das Leugnen sichtbarer Fakten. 
						 
						Hans Albert gilt als derjenige, der den Kritischen 
						Rationalismus seit den 60er Jahren praxistauglich 
						ausgearbeitet hat. Er ist ein entschlossener Verteidiger 
						der Aufklärung und Gegner des Dogmatismus. Von 1963 bis 
						1989 war er Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie und 
						Wissenschaftslehre an der Universität Mannheim. Am 8. 
						Februar feiert er in der Nähe von Heidelberg seinen 100. 
						Geburtstag. Eigentlich wäre ein großer Kongress zu Ehren 
						des herausragenden Philosophen fällig gewesen, jetzt ist 
						ein Online-Festakt daraus geworden, der am Abend des 
						8.2. abends auf Youtube gestreamt wird. Veranstaltet 
						wird er vom Hans-Albert-Institut (HAI) mit Sitz in 
						Oberwesel, das sich als Think-Tank „zur Förderung des 
						kritisch-rationalen Denkens in Politik, Wirtschaft und 
						Gesellschaft“ versteht. 
						 
						Leidenschaft zur Vernunft 
						 
						Dieses Institut hat aus dem Anlass dieses 
						Jahrestages eine gut lesbare Broschüre herausgegeben, 
						die unter dem Titel „Leidenschaft zur Vernunft“ die 
						Grundzüge des Albertschen Credos nachzeichnet und zum 
						Kritischen Rationalismus „als Lebenshaltung“ ermuntern 
						will. Rationalität kann man sich antrainieren, so lautet 
						eine der Lehren, die in dem Heft versammelt sind. 
						Vielleicht ein bisschen zu schlicht formuliert: „Im 
						Grunde ist es wie beim Klavierspiel: Wer sich die 
						Techniken der Rationalität erst einmal angeeignet hat, 
						setzt sie später, wenn es darauf ankommt, ganz intuitiv 
						ein, ohne noch darüber nachdenken zu müssen.“ Auf Seite 
						29 gibt es dazu sogar so etwas wie einen Trainingsplan. 
						 
						Eine weitere Lehre der programmatischen Schrift: „Wir 
						alle tragen Verantwortung für unsere Entscheidungen, der 
						wir nur gerecht werden können, wenn wir uns dabei von 
						Fakten und Logik leiten lassen, nicht von gefühlten 
						Wahrheiten.“ Wenn viele sich nach dieser Maxime 
						verhalten, kommt heraus: eine liberale, pluralistische 
						Demokratie. Wobei „liberal“ im Wesentlichen nichts mit 
						dem Nischen-Weltbild eines Christian Lindner zu tun 
						haben wird.  
						 
						Hans Albert hat sich zeit seines langen Lebens für das 
						eingesetzt, was sein Lehrmeister Karl Raimund Popper als 
						„offene Gesellschaft“ beschrieben hat. Ideologien mit 
						absolutem Wahrheitsanspruch sind ihm zutiefst 
						unsympathisch. Weshalb er sich in den 60er Jahren auf 
						offener Szene heftig mit Jürgen Habermas zankte, der 
						damals noch in der Schublade „links“ verwahrt wurde. 
						Weshalb Albert auch mit religiösen Dogmen wenig anfangen 
						konnte. Es ist kein Zufall, dass hinter dem HAI die 
						säkular-humanistische Giordano-Bruno-Stiftung steht.  
						 
						Mit Alberts Namen ist eine Denkfigur verbunden, die er 
						das „Münchhausen-Trilemma“ getauft hat. Wenn einer 
						gezwungen ist, seine eigene Ansicht zu begründen, so 
						gibt es drei Szenarien: Erstens kann nach jedem seiner 
						Begründungsversuch die Kinderfrage kommen: Warum? Dann 
						läuft so ein Dialog ohne Ergebnis bis ans Ende der Zeit. 
						Zweitens kann er argumentieren: Ich finde X gut, weil X 
						gut ist. So kann er sich aber nur selbst 
						zufriedenstellen. Drittens: Er bricht das Gespräch 
						einfach ab, indem er keine Nachfragen mehr zulässt. 
						Basta! 
						Aus der Unvermeidbarkeit dieser Zwangslage, in der man 
						sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf des Unwissens ziehen 
						müsste, schließt Hans Albert, dass auch die eigenen 
						Überzeugungen immer nur vorläufig sind, jedenfalls sein 
						sollten.  
						 
						„Wir irren uns empor“ 
						 
						„Alle Sicherheiten in der Erkenntnis sind 
						selbstfabriziert und damit für die Erfassung der 
						Wirklichkeit wertlos“ - so lautet der wohl am häufigsten 
						zitierte Satz aus seinem „Traktat über kritische 
						Vernunft“ (1968), einem Manifest gegen die Rechthaberei 
						und gegen die Beliebigkeit. Nicht nur die Wissenschaft, 
						auch die Politik und eigentlich jeder Einzelne muss sich 
						vor dieser Kulisse dem Zusammenspiel von Versuch und 
						Irrtum unterwerfen. In der Corona-Diskussion wird dies 
						gerade beispielhaft vorgeführt. Wer immer alles schon 
						wusste, stellt sich neben den seriösen Diskurs in dieser 
						Sache und darüber hinaus.  
						 
						„Wir irren uns empor“ – das ist eine Kapitelüberschrift 
						in der HAI-Broschüre (und seit längerem auch ein 
						Vortragstitel von Harald Lesch). Die Sentenz wird 
						allgemein Gerhard Vollmer zugeschrieben, der Mitte der 
						70er Jahre den Begriff der Evolutionären 
						Erkenntnistheorie prägte und heute im HAI-Beirat sitzt. 
						Grundgedanke: Auch wenn wir nie sicher sein können, im 
						Besitz der Wahrheit zu sein, so bringt uns jeder 
						erwiesene Irrtum ihr näher. 
						 
						„Nur Anschauungen, die kritischen Argumenten ausgesetzt 
						werden, können sich bewähren.“ Das die Grundlinie von 
						Alberts Denken. Der Verdacht, dass der Kritische 
						Rationalismus mit seinem Prinzip der kritischen Prüfung 
						selbst eine Ideologie mit allzu hohem Wahrheitsanspruch 
						ist, liegt nahe. Hans Albert hat ihn stets mit dem 
						Hinweis gekontert, dass man ihn ja gerne auch 
						unnachgiebig bezweifeln dürfe.  
						 
						Ein Dokumentarfilm, der aus Anlass des runden 
						Geburtstages am 8. Februar uraufgeführt wird, verleiht 
						Hans Albert das Prädikat eines „Jahrhundertdenkers“. Wem 
						das zu dick aufgetragen scheint, der kann sich im Herbst 
						(3./4. September) bei der Würzburger Tagung 
						„Konstruktion und Kritik“ - geplant vom juristischen 
						Lehrstuhl Prof. Eric Hilgendorf - selbst ein Bild 
						machen. Sie ist ganz „dem facettenreichen Denken und 
						Werk“ von Hans Albert gewidmet. 
						
						Wolfgang Kerkhoff 
						| 5.2.2021 | 
  
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						Das so genannte 
						Münchhausen-Trilemma gehört zu den einflussreichen 
						Denkfiguren, die mit dem Erkenntnistheoretiker Hans 
						Albert in Verbindung gebracht werden. Der ehemalige 
						Mannheimer Hochschullehrer steht für den Kritischen 
						Rationalismus. Zeichnung: Theodor Hosemann (um 1835), 
						commons.wikimedia 
						
						  
						
						  
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						Manifest gegen Rechthaberei und Beliebigkeit" - Beitrag als pdf downloaden 
						Mehr Details:
						
						www.hans-albert-institut.de    |